Merle

Merle
Eigentlich war alles ganz anders geplant…


Nachdem ich mich schon bei einigen Tierschutzorganisationen als Pflegestelle beworben hatte und nie wieder von ihnen hörte, war ich schon kurz davor, wieder aufzugeben und mich weiterhin mit den eingeschränkten Gassigeherzeiten im Tierheim zufrieden zu geben, da mir – so dachte ich jedenfalls - für einen eigenen Hund die Zeit langfristig fehlt. Dann kam aber doch noch eine Anfrage zu meinem Inserat im Zergportal, von Christian Köhler von der Tierhilfe Griechenland. Und dann ging alles ganz schnell. Ein Telefonat mit Angela Gluch, die als Vermittlerin für mein PLZ-Gebiet zuständig ist, zeigt dann, dass man auch mit einer 1-Zimmer-Wohnung ohne Garten als Pflegestelle in Frage kommt. Und zufällig hatte sie auch gerade in der Nachbarstadt ein kleines armes Hündchen, das dringend in eine neue Pflegestelle musste, weil es nicht alleine bleiben konnte. Da ich noch einige Wochen Resturlaub hatte, dauerte es nur ein paar Telefonate und 2 Stunden später saß ich also im Auto, um den Hund „nur mal anzuschauen“. Eigentlich war mir schon klar, dass ich die arme Kleine zumindest mal den nächsten Tag mitnehmen würde, dann da hätte sie sonst 8 Stunden alleine bleiben müssen – wie sich später zeigte ein Ding der Unmöglichkeit, denn sie bekam schon Panik, wenn sich die Tür nur vor ihr schloss.

Also hingefahren und erstmal beschnuppert, d.h. eine Weile lang auf dem Boden gehockt und gewartet, bis die erste zaghafte Kontaktaufnahme von Merle erfolgte, zum Glück hatte ich noch Leckerlies vom Tierheimbesuch in der Tasche ;). Nachdem mir das Pflegefrauchen versicherte, dass Merle normalerweise nicht so zutraulich ist, dachte ich mir, das wäre doch ein guter Anfang und ich wollte es also mal versuchen, sind ja nur ein paar Wochen dachte ich... Das ist jetzt 8 Monate her.

Es war nicht leicht. Merle hatte vor allem und jedem Angst. Sie wollte nicht rausgehen. Sie wollte nicht fressen. Sie wollte von niemandem angeschaut oder gar angefasst werden. Eigentlich wollte sie sich nur unter dem Bett verkriechen. Oder aber, und das war wohl die beste Voraussetzung dafür, dass wir uns anfreunden: sie wollte von mir am Bauch gekrault werden. Sie machte täglich enorme Fortschritte und so schmuste und tobte sie bald mit meinem Freund, spielte mit dem Nachbarhund, ging gerne mit spazieren und liebte den Park, wo sie an der 8-Meter-Leine stundenlang um mich herumrannte, so dass ich bald einen Drehwurm bekam. Die ersten Wochen klebte sie mir ständig am Rockzipfel, ich konnte nirgends eine Türe schließen, selbst im Büro konnte ich nicht ohne sie zum Kopierer laufen. Wenn ich solche Fälle heute beim Hundeprofi im TV sehe, wird mir immer wieder bewusst, wie unglaublich sie sich entwickelt hat.

Als sie nach einigen Wochen noch keine Interessenten hatte, beschloss ich, mit ihr in die Hundeschule zu gehen. Nach langer und enttäuschender Suche stießen wir auf einen Hundesportverein, dessen Trainer erfahren mit ängstlichen Hunden waren und die uns in die Welpengruppe aufnahmen, da Merle vom Verhalten her nicht ihrem Alter entsprach und vor größeren Hunden panische Angst hatte. Angst hat sie auch heute noch, doch haben wir es einigermaßen in den Griff bekommen und sie spielt heute sogar manchmal mit größeren Hunden. Auch Menschen gegenüber ist sie nicht mehr panisch, sondern nur noch vorsichtig. Und die Menschen, von denen sie sich entspannt streicheln lässt kann man heute nicht mehr an einer Hand abzählen, so viele sind es schon!

Vor einigen Monaten hat sie dann ihren besten Freund kennen gelernt, einen kleinen Mops, der in der Nähe wohnt und über einen großen Garten verfügt. Hier ist sie fast täglich zu Besuch und spielt im hauseigenen Agilityparcours, bevor sie von ihrer Patentante mit frisch gekochtem Hähnchen verwöhnt wird. Hier lernt sie auch, dass die Welt nicht untergeht wenn ich mal ohne sie weg gehe. Zu Hause bleibt sie auch fast schon eine ganze Stunde ganz alleine, das wäre vor einigen Monaten noch undenkbar gewesen. So kann ich auch endlich mal wieder dort einkaufen, wo Hunde nicht mitdürfen, die ganze Zeit konnte ich nur zum Zoomax oder Fressnapf ;).

Sogar die Hundeschule macht ihr mittlerweile trotz der vielen Menschen und großen Hunde Spaß, am Wochenende konnten wir erfolgreich den Junghundkurs abschließen, was selbst die Trainerinnen anfangs nicht für möglich gehalten hätten, obwohl sie ihr Potenzial erkannt haben. Merle ist eben immer für eine Überraschung gut! Die nächste gelingt ihr hoffentlich im Mai, wenn die BGH-Prüfung ansteht… Die Grundkommandos sind ihr längst zu langweilig geworden und so clickert sie sich von einem Trick zum nächsten, seit heute kann sie sogar einen zum Leckerli-Automaten umfunktionierten Erdnussspender bedienen. Und sonst vertreiben wir uns die Zeit mit Gassi gehen, wobei wir wie zwei kleine Kinder rumalbern und überall raufhüpfen um die Welt noch besser erkunden zu können, um die Wette rennen (wer da wohl immer gewinnt…), Spielzeug apportieren, Mauselöcher aufspüren und ausheben, Radfahren (für längere Touren haben wir sogar einen Hundeanhänger), Garten-Agility, Rumtoben, stundenlang schmusen etc.. Selbstverständlich ist Merle fast immer dabei, selbst im Büro geht nichts ohne sie, auch wenn es ein harter Kampf war, hier eine dauerhafte Lösung zu finden. Und wenn ich doch mal ohne sie unterwegs bin, mach ich trotzdem automatisch an jedem Bordstein halt und warte auf ihr „Sitz“ ;).

Vor 2 Monaten ist unsere heile Welt dann beinahe zusammengebrochen. Es kam doch tatsächlich eine ernstzunehmende Anfrage. Obwohl ich mir von Anfang an darüber bewusst war, dass sie nur eine begrenzte Zeit bei mir sein würde, waren 6 Monate doch ein so langer Zeitraum, dass mir die Vorstellung, sie wieder hergeben zu müssen, fast das Herz brach. Sie ging doch nicht mal mit jemand anderem Gassi, wie sollte sie sich dann schon wieder woanders eingewöhnen, nachdem sie schon so oft ihr Zuhause verloren hatte? Auch Merle spürte, dass etwas nicht stimmt und bekam den schlimmsten Durchfall den ich je bei ihr gesehen hatte, und sie hatte ständig Durchfall wenn sie gestresst war. Und jetzt war es soweit, sie sollte mich wieder verlassen. Was sollte ich denn den ganzen Tag ohne sie machen? Ich würde mir ständig Sorgen machen, ob sie sich im neuen Zuhause wohl fühlt.

Von Anfang an hat mir jeder prophezeit, dass ich sie nicht wieder hergeben würde. Nach einigen schlaflosen Nächten waren schließlich alle Zweifel beseitigt, dass es schon irgendwie machbar wäre, sie zu behalten. Dass es nicht leicht werden würde war mir klar, aber das letzte halbe Jahr hat mir gezeigt, dass Merle jede Sekunde (und jeden Cent) wert ist, die ich in sie investiert habe. Den Spruch: „Ich habe es Dir doch gleich gesagt“ hab ich noch nie so gerne gehört, als in dem Moment, als ich Merle offiziell als neues Familienmitglied vorstellte:). Ihre enormen Fortschritte auf dem Weg zu einem entspannten Hund machen mich optimistisch, dass ich diese Entscheidung nie bereuen werde.

Merle und Frauchen

Jetzt fallen draußen die ersten Schneeflocken des Jahres und eigentlich wollten wir im Dezember die seit Jahren erträumte und hart ersparte Karibik-Kreuzfahrt machen. Aber was sind schon 2 Wochen auf einem sonnigen Schiff gegen den hoffentlich bald möglichen Anblick eines kleinen schwarzen Hundes, der den ersten Schnee seines Lebens genießt? Eine nasskalte Hundeschnauze begleitet einen schließlich für den Rest ihres Lebens und erinnert einen ständig daran, dass ein Leben ohne Hund auch in der Karibik nicht lebenswert ist! Und schließlich kann man sich auch als Versager pudelwohl fühlen, vorausgesetzt, man ist ein Pflegestellen-Versager!

Danke an alle von der Tierhilfe Griechenland, dass ihr nicht nur Merle‘s Leben so bereichert habt!